Die Legende der weißen Schlange
Die Legende über die weiße Schlange gehört in China zu einer der ältesten und beliebtesten Volkssagen.
Im tiefen West Lake lebt die weiße Schlange, nach tausend Jahren des disziplinierten Übens schaffte sie es, sich der irdischen Form der Schlange zu entäußern und sich in eine schöne Frau zu verwandeln. Sie nannte sich Suzhen. Auch die grüne Schlange, ihre Freundin, folgte ihr, verwandelte sich zu ihrer Zofe, nannte sich Xiaoqing, die kleine Grüne.
Suzhen verliebte sich in Xu Xian, einen angehenden Mediziner. Auf der gebrochenen Brücke zauberte Suzhen einen Regen her, lieh sich den Schirm von Xu Xian und initiierte somit die Bekanntschaft mit ihm. Bald verfiel Xu Xian dem Charme der schönen weißen Schlange und heiratete sie, zusammen bauten sie eine eigene Apotheke auf, behandelten die Patienten, arme Leute bekamen von ihnen oft die Medizin geschenkt. Alle gingen sie in dem Familienglück auf.
In dem Jinshan Kloster weilte ein Mönch Fahai mit virtuosen Fähigkeiten. Fahai witterte den Geruch der Schlangen, machte Suzhen ausfindig und warnte Xu Xian bei Gelegenheit, dass er einen Schlangendämon geheiratet hatte. Xu Xian konnte es nicht glauben. Also lauerte Fahai auf seine Chance.
Die Chance kam am Drachenbootfest, an dem viele Familien zur Feier Realgarschnaps tranken. Fahai wies Xu Xian an, Suzhen diesen Unheilstrunk anzubieten, wohlwissend, dass die Schlangen es nicht vertrugen. Es kam wie erwartet: Suzhen wurde betrunken und wandelte sich zurück zu einer großen weißen Schlange, bei deren Anblick Xu Xian zu Tode erschrak.
Als Suzhen wieder nüchtern wurde, fand sie Xu Xians Leiche vor sich. Sie ließ Xiaoqing auf Xu Xian aufpassen und brach zum Kunlun Berg auf. Auf dem Gipfel des Kunlun Berges wuchs der göttliche Pilz, der die Kraft besitzt, Tote wieder zum Leben zu erwecken, der jedoch von einem Kranich bewacht wird. Nach hartem Kampf stahl Suzhen den Pilz und holte Xu Xian wieder zurück ins Leben.
Fahai, mittlerweile erbost über Suzhens Hartnäckigkeit, entführte Xu Xian zum Jinshan Kloster und sperrte ihn dort ein. Mit ihrer überirdischen Kraft beschworen Suzhen und Xiaoqing ein Hochwasser, das das Kloster überflutete, zugleich aber auch viele Reisfelder zerstörte und vielen das Leben kostete. Der Himmelskaiser erfuhr davon, schritt ein, ließ Suzhen zu einer kleinen Schlange schrumpfen und unter dem Turm Leifeng am West Lake für immer einsperren.
Wir Chinesen stehen auf Happy End. So heißt es in vielen neuen Versionen, dass Suzhen für Xu Xian einen Jungen geboren hatte, der Sohn später die Nummer 1 bei der staatlichen Prüfung belegte und die Mutter aus dem Turm rettete. Das zeigt, wie beliebt Suzhen, die weiße Schlange, bei den normalen Sterblichen ist. Für sie ist Suzhen eine schöne, herzliche Medizinerin.
Im Jahr 1924 stürzte der Turm Leifeng ein, woraufhin Luxun, unser große Literat, einen Artikel darüber verfasste. Als ich ins Gymnasium ging, war der Artikel im Chinesisch-Lehrbuch. Ein Satz prägte sich mir bis heute ein: „Die weiße Schlange war vernarrt in Xu Xian, Xu Xian selbst heiratete die Schlange, was geht das irgendjemand anderen etwas an?